Der Koalitionsvertrag steht. Und die Hoffnung sehr vieler Deutscher, ist endlich in Erfüllung gegangen – Cannabis wird legalisiert! Verständlich, dass die meisten dieser Menschen völlig aus dem Häuschen sind, wenn sie ihrer entkriminalisierten, entspannten, gesunden und genussvollen Zukunft entgegensehen. Noch weit mehr aus dem Häuschen – in dem Fall ist es eher eine Villa – sind Menschen, die sich schon immer gewünscht haben, in der Cannabisbranche zu arbeiten. Hunderte Deutsche träumen im Moment von einem eigenen Coffeeshop, Headshop oder wenigstens einer Anstellung als Verkäufer oder Cannasseur.
Und genau aus diesem Grund laufen in den letzten Tagen die Telefone diverser Redaktionen, Experten, Journalisten, Vereine und Beratungsstellen heiß. Nach einem Hilferuf meiner eigenen Redaktion, wollen wir uns das Thema nun einmal genauer anschauen. Wir werden beleuchten, was noch alles ansteht, bevor der erste Shop öffnet. Welche Bedingungen wahrscheinlich sind; und wir werden mit einem Blick nach Kanada und in die USA versuchen, Zeiträume abzustecken. Eins sei gesagt – ihr könnt eure Jobs vorerst behalten.
Welche Aufgaben stehen bei einer Legalisierung an?
Fakt ist, dass die Legalisierung von Cannabis sicher nicht der erste Tagesordnungspunkt auf der langen Liste der neuen Koalition ist. Nicht nur, dass Probleme wie Corona mehr Dringlichkeit als unser Anliegen haben. Auch die Tragweite einer Legalisierung ist nicht zu unterschätzen. Da wir also quasi bei null anfangen, müssen wir uns auf einen langwierigen Prozess einstellen, der nur mit Bedacht und Planung zu dem Resultat führen kann, dass wir uns wünschen. Wer erwartet hat, morgen einen Shop eröffnen zu können, der hat sich mit den folgenden sechs Punkten wahrscheinlich noch nicht befasst. Um diese zu beleuchten, haben wir uns mit den Experten vom Branchenverband Cannabiswirtschaft zusammengesetzt, um die Situation wirklich vollständig zu analysieren. Der Geschäftsführer des BvCW, Jürgen Neumeyer, stand mir mit seiner Expertise zur Seite.
1. Lizenzen
Das Wort Nummer eins bei Anrufen in meiner Redaktion lautet LIZENZEN. Doch natürlich sind wir von diesen noch ein bis zwei Jahre entfernt. Es gibt nicht nur keine Vorlage für eine solche Lizenz, es gibt aktuell noch nicht einmal ein Amt, dass sie vergeben könnte. Der Branchenverband für Cannabiswirtschaft hatte vor nicht allzu langer Zeit in seiner Pressemitteilung den Vorschlag einer Cannabiskommission – nach dem Vorbild der Kohlekommission. Die wäre ein guter und bürgernaher Ansatz für zukünftige Entscheidungen zu Cannabis. Sie würde vor allem jene milde stimmen, die viel zu lange unter einer dysfunktionalen Cannabispolitik gelitten haben. Die vorsichtige Einschätzung von Herrn Neumeyer geht von den ersten Ladenöffnungen in mindestens zwei Jahren aus. Wir von Weedo könnten uns sogar vorstellen, dass es noch länger dauert; aber das ist wirklich reine Spekulation, denn niemand kann diesen Zeitraum momentan sicher abschätzen.
2. Produktbeschaffung
In der Haucap-Studie wird ein Cannabisbedarf von 400 Tonnen veranschlagt, der nach der Legalisierung benötigt wird. Angesichts der Tatsache, dass wir – vier Jahre nach der Legalisierung medizinischen Cannabis unseren eigenen jährlichen Bedarf von etwa 2,6 Tonnen, nach wie vor nicht decken können – kann man sich nicht vorstellen, dass wir bald 400 Tonnen alleine stemmen. Doch Jürgen Neumeyer sieht noch andere Lösungen als den Import aus anderen Ländern. Er sagt, es sei eine große Herausforderung, vorstellbar sei es aber durchaus. Allerdings sicher nicht sofort; es sei ein Prozess, sagt er, und er könne sich vorstellen, dass zur Überbrückung der Problematik eine Entkriminalisierung sinnvoll wäre.
So könnten sich Konsumenten selbst versorgen, bis alle Abläufe und Regelungen optimiert sind. Er argumentiert damit, dass es in Deutschland ebenfalls zulässig sei, als Privatperson jährlich 200 Liter Bier zu brauen, oder Wein herzustellen. Auch Tabakanbau ist im Rahmen von 5 Pflanzen nicht verboten. Außerdem wäre es wünschenswert, so sagt er, wenn die Vergabe der Anbaulizenzen diesmal nicht durch ein Ausschreibungsverfahren vergeben würden. Wie bei den Lizenzen zum medizinischen Cannabis – sondern an Kriterien geknüpft wären.
3. Sicherheit
Ein grundlegender Punkt, um Cannabis überhaupt legalisieren zu können, ist die Sicherheit. Wie wird es transportiert, gelagert, angebaut und so weiter. Mit diesen Regelungen geht natürlich auch der Jugendschutz einher, da es für Minderjährige nicht möglich sein darf, an die Substanzen zu gelangen. Auch Gesundheitsschutz ist hier ein Thema, denn es muss sichergestellt werden, dass niemand an die Substanzen gelangen kann, um sie zu verunreinigen. Vor allem geht es aber natürlich darum, dass sich niemand an dem Produkt bereichern kann, indem er es entwendet. All diese Punkte benötigen umsetzbare Gesetze und sinnvolle Regularien.
4. Qualitätssicherung
Dieser Punkt ist einer unter sechs, die die Grundlage für ein Eckpunktepapier bilden, welches der Branchenverband für Cannabiswirtschaft voraussichtlich im Januar 2022 veröffentlichen wird. Die weiteren Punkte lauten Produktherkunft, Gesundheitsschutz/Prävention, Recht, Jugendschutz/Schwarzmarkt und Prozess, womit beispielsweise gemeint ist, welche Abläufe in welcher Reihenfolge sinnvoll wären, welche Institutionen einzubinden sind und welche Schritte man sich aus anderen Ländern abschauen kann, um ein Desaster zu vermeiden.
5. Recht
Auch rechtlich ist die Legalisierung eine große Herausforderung. Jürgen Neumeyer hält beispielsweise eine konsequente Trennung von medizinischem Cannabisprogramm und Freizeitgebrauch für wichtig. Aber nicht nur dieses Thema muss klar gesetzlich geregelt werden, sondern alle Themen. Vom Jugendschutz, bis zur Höchstmenge, von der Lizensvergabe, bis zu den Einstellungskriterien für Verkäufer. Ein Blick in andere Länder kann hier ungemein hilfreich sein, meint auch Neumeyer. Außerdem wirft er einen äußerst interessanten Gedanken zum Anbau auf – eventuell wäre es sinnvoll, den Anbau von Cannabis, wie den Anbau anderer Genussmittel wie von Hopfen, Tabak und Wein, über den Agrarbereich zu regulieren. Diese grundlegende Änderung wird aber, wenn sie denn geschieht, noch auf sich warten lassen, denn es gibt internationale Verträge und Konventionen, die sich nicht einfach aushebeln lassen. Medizinalcannabis wird voraussichtlich weiter über die Gesundheitspolitik reguliert werden.
6. Prävention / Jugendschutz
Dass die Werbung zum Schutze der Jugend sehr begrenzt ausfallen soll, ist bereits im Koalitionsvertrag festgehalten wurden. Auch die Werbung für Tabak und Alkohol soll eingeschränkt werden und somit erstmals der Versuch gewagt, Cannabis den bereits legalen Suchtmitteln fair gegenüberzustellen. Ob die Prävention, wie seit Kurzem in Luxemburg, Einzug in die Schulen halten wird, das steht noch in den Sternen. Klar ist, dass eines der erklärten Ziele der Legalisierung ist, den Schwarzmarkt auszutrocknen. Sollte dies gelingen, ist das eine ungemeiner Fortschritt und der beste Jugendschutz, den man sich nur wünschen kann. Ob dies gelingt, oder sich, wie in den Niederlanden und anfangs in Kanada, ein paralleler Schwarzmarkt etabliert, bleibt abzuwarten.
Legalisierung: Ein Blick nach Kanada
Um abschätzen zu können, was noch alles auf uns zukommt, ist es ratsam zu vergleichen, was andere Länder falsch gemacht haben, um diese Fehler nicht zu wiederholen. Ebenfalls können Zeiträume so besser abgeschätzt werden; wenn auch nur sehr weit gefasst. Denn die Bedingungen sind natürlich von Land zu Land unterschiedlich. Im Jahr 2018 wurde in Kanada der Freizeitkonsum legalisiert. Der erste Shop eröffnete am 17. Oktober in Montreal, doch es folgten nur schleppend weitere. Wie die ARD auf Tagesschau.de berichtet, konnten sich die Dispensaries nur sehr schwer etablieren. In Qubec z.B. gab es nur 23 Dispensaries, über die ganze neun Tonnen verkauft wurden. Im letzten Jahr ist diese Zahl auf 78 angestiegen – dafür hat sich aber auch der Verkauf verzehnfacht. Im größten Bundesstaat Ontarion eröffnete der erste Shop erst nach 8 Monaten.
Auch die Austrocknung des Schwarzmarktes gelang zunächst nicht, da die schwache Infrastruktur Kanadas eine adäquate Belieferung der Shops unmöglich machte. Die Hälfte des Cannabis blieb in den Warenhäusern liegen, die Kanadier versorgten sich weiterhin schwarz. Wie man sehen kann, ist gute Planung also ungemein wichtig.
Zu hohe Erwartungen sind problematisch
Kundenorientiert sollte die Versorgung mit Cannabis sein, denn ein weiteres Problem, welches den Schwarzmarkt befeuert, ist das schlechte Angebot. Obwohl das Gesetz inzwischen sogar Edibles erlaubt, gibt es auf dem Schwarzmarkt in jeder Hinsicht einfach mehr Auswahl. David Hammond von der University of Waterloo, welcher die Legalisierung von Anfang an mit einer groß angelegten Studie begleitet hat, erklärt, dass es viele überzogene Erwartungen gab. Menschen mussten lernen, dass es einen Unterschied gibt, zwischen dem Zeitpunkt der Legalisierung und dem Zeitpunkt, an dem das erste Geschäft öffnet. Dies sollten wir vielleicht alle im Kopf behalten, bevor wir unsere Jobs kündigen. Auch die Züchter, von denen es inzwischen 600 gibt (Firmen) sind ungeduldig und kämpfen ums Überleben. Sie hatten das große Geld gewittert und stehen nun einem Markt gegenüber, der zu klein ist, um sie alle überleben zu lassen.
Ein zusätzliches Hindernis ist, dass sie nicht beraten dürfen. Doch der Markt sei noch jung und in den nächsten 10 Jahren werden die Kinderkrankheiten sicher überwunden sein, sagt Peter Schissler, Geschäftsführer der Firma Great White North, welche seit 2013 den kanadischen Markt mit medizinischem Cannabis versorgt.
Ein Blick in die USA
Um die Entwicklung in den USA einschätzen zu können, haben Journalisten des Fokus-Magazins den Think Tank “Cato Institute” ausgewertet und festgestellt, dass fast alle Prognosen bezüglich der Folgen der Legalisierung überzogen waren. Der Konsum harter Drogen und Alkohol, stiegen in manchen legalen Bundesstaaten leicht an, während sie in anderen sanken. Ob diese Zahlen überhaupt mit der Legalisierung zu tun haben, oder normale Schwankungen darstellen, ist nicht ganz klar. Mit der Verbrechensrate verhielt es sich ähnlich und auch die Wirtschaft hatte in vielen Punkten keinen Grund zum Jubeln.
Der Industrie-Boom in Colorado blieb beispielsweise vollkommen aus und auch der Immobilien-Aufschwung, der durch junge Menschen gefördert werden sollte, die nach Colorado ziehen, um zu kiffen, trat nicht wie gewünscht ein. Auch einen signifikanten Zuwachs an Arbeitsplätzen gab es nicht, da die Stellen in der Branche gegenüber der Gesamtbeschäftigung kaum ins Gewicht fielen. Nur in einem Sektor wurden alle Erwartungen übertroffen – die Steuereinnahmen. In Oregon wurden, statt erwarteten 3 Millionen monatlich, ganze 10 eingenommen. Ähnlich sieht es in Kalifornien mit 50 Millionen und in Colorado mit 20 Millionen im Monat aus. Washington nimmt doppelt so viel ein wie erwartet und zwar 70 Millionen – allerdings im Jahr.
Fazit zur geplanten Legalisierung von Cannabis
Eine so große Sache, wie die Legalisierung von Cannabis, will mit Bedacht angegangen werden. Das ist in unser aller Interesse. Viele Menschen in verschiedensten Branchen haben sich in den letzten Jahren auf diesen Moment vorbereitet und eine Menge Gutes auf Lager. Jetzt können wir nur hoffen, dass die Politik sich von den Richtigen beraten lässt und nicht die Schotten dicht macht, sobald die Steuergelder stimmen. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen sollten gefördert werden. Eine Gründerwelle wäre das Resultat.