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Erfahrungsbericht: „Cannabis auf Rezept ist nicht gleich Kostenübernahme durch die Krankenkasse“

Erfahrungsbericht: „Cannabis auf Rezept ist nicht gleich Kostenübernahme durch die Krankenkasse“
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Hinweis: Dies ist ein subjektiver Erfahrungsbericht des Cannabis-Patienten Dirk D., der nach langem Hin und Her endlich erflogreich die Kostenübernahme bei der Krankenkasse bewilligt bekommen hat. 

Im Februar 2019 hat Dirk D. endlich die Bewilligung seiner Krankenkasse für die Kostenübernahme zur Behandlung mit cannabinoidhaltigen Medikamenten erhalten. Hier beschreibt er seinen langen Weg dorthin.

Im Jahr 2012 wurde bei mir erstmals Fibromyalgie diagnostiziert. Normale Schmerzmittel mit Wirkstoffen wie Diclofenac, Ibuprofen oder Paracetamol hatten und haben bis heute leider keine schmerzlindernde Wirkung bei mir. Was mir jedoch half, waren schmerzlindernde Medikamente auf Opioid-Basis, wie zum Beispiel Tramadol. Mal abgesehen davon, dass diese Medikamente recht schnell in die Abhängigkeit führen, hatte ich mit Nebenwirkungen wie insbesondere Übelkeit und Schwindel zu kämpfen. An Arbeiten war überhaupt nicht zu denken. Zum Glück waren damals die Schmerzschübe in ihrer Anzahl noch überschaubar und die Intensität war auch ohne Medikamente oft noch gerade so erträglich.

Cannabis linderte meine Schmerzen

Erfahrungen mit Cannabis hatte ich bis dato nur in meiner frühen Jugend (17./18. Lebensjahr) gemacht und auch nur sehr begrenzt. Erst im Alter von 33 Jahren kam ich durch einen Zufall wieder mit Cannabis in Kontakt. Ich erlitt 2011 einen doppelten Bandscheibenvorfall der Halswirbelsäule und hatte mit starken Schmerzen zu kämpfen. Eine Bekannte, die mich zu Hause besuchte, brachte damals etwas Gras mit und baute uns einen Joint. Schon kurze Zeit später spürte ich eine deutliche Schmerzreduktion und eine muskelentspannende Wirkung. Es ging mir plötzlich – schmerztechnisch betrachtet – viel besser. Seit diesem Schlüsselerlebnis setzte ich Marihuana auch bei Schmerzschüben ein und erfuhr eine spürbare Linderung meiner Schmerzen. 

Die Häufigkeit und Intensität der Schmerzen wurden aber im Laufe der Jahre mehr, sodass ich mich im Sommer 2017 in die Hände eines Schmerztherapeuten in einem interdisziplinären Schmerzzentrum begab. Es erfolgte eine ausführliche neurologische, rheumatologisch und psychiatrische Diagnostik, die nicht nur die bisherige Diagnose Fibromyalgie bestätigte, sondern auch eine neuropathische Schmerzerkrankung (Small Fibre Neuropathie) ans Licht brachte. 

Geringe Evidenz zur Wirksamkeit von Cannabispräparaten

Natürlich berichtete ich auch von meinen positiven Erfahrungen aufgrund der Selbstmedikation mit Cannabis und wollte von meinen Ärzten wissen, wie sich meine bisherigen Erfahrungen mit Cannabis mit dem aktuellen Forschungsstand deckten. Auch wenn mir Cannabis geholfen hatte und auch heute hilft, entspricht die Medikation nicht der Standardbehandlung bei Fibromyalgie und es gibt nur sehr eingeschränkt aussagekräftige Studien. Weil es kaum groß angelegte Studien gibt bedeutet das eine geringe Evidenz bezüglich der Wirkung bei neuropathischen Schmerzen. Aus diesem Grund wurden erst andere Medikamente ausprobiert, beispielsweise Pregabalin und bestimmte Antidepressiva, bei denen von einer positiven Wirkung auf meine Schmerzen ausgegangen wird. 

Erst nachdem ich mehrere Monate die Arzneimittel eingenommen hatte und ich keine wesentliche Verbesserung hinsichtlich der Schmerzen wahrnahm, diskutierten wir über einen offiziellen Einsatz von Cannabispräparaten und einen Antrag zur Kostenübernahme bei der Krankenkasse. Das Gesetz für die Verordnung von Cannabis war zudem erst kürzlich (im März 2017) verabschiedet worden.


Die Krankenkassen-Odyssee

Zu diesem Zeitpunkt war ich noch in der privat krankenversichert. Entgegen dem Mythos, dass Privatversicherte Vorteile bei der medizinischen Versorgung haben, verweigerte mir die meine Kasse – unter Berufung auf ein selbst beauftragtes Gutachten – die Kostenübernahme und verwies auf die Behandlungsrichtlinien bei Fibromyalgie. Auch ein ärztlich begründeter Widerspruch brachte kein Umdenken bei der Krankenkasse. Als letzte Möglichkeit blieb zum damaligen Zeitpunkt nur noch der Klageweg. Dazu fehlte mir jedoch einfach die Kraft. Aus Erfahrung weiß ich, dass derartige Gerichtsprozesse nicht nur Geld kosten (zum Glück habe ich eine Rechtsschutzversicherung!), sondern vor allem viel, viel Zeit. Ferner zehrt es an einem selbst, weil man beweisen muss, dass man krank ist und tatsächlich leidet! 

Die Gegenseite stellte meinen Zustand einfach durch ein sogenanntes „Gutachten nach Aktenlage“ in Frage und war mit der Verweigerung der Kostenübernahme rechtlich betrachtet völlig auf der sicheren Seite. Die Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs (SGB) sind leider nicht einfach 1:1 auf die einer privaten Krankenversicherung übertragbar. Damit ich rechtlich auf der sicheren Seite war, ließ ich mir ein Privatrezept für Cannabis-Blüten und einen speziellen Ausweis für deren Besitzerlaubnis ausstellen. Somit war ich im Rahmen einer eventuellen Personenkontrolle zumindest rechtlich abgesichert, wenn ich meine Medikamente bei mir hatte. Dafür musste ich aber die hohen Kosten für das medizinische Cannabis aus der Apotheke selbst tragen. 

Kassen dürfen Kostenübernahmeanträge nur in „begründeten Einzelfällen“ verweigern

Seit Frühjahr 2017 bin ich wieder Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung. Im November stellte ich auch hier mit meinem behandelnden Arzt einen Antrag auf Kostenübernahme von Cannabispräparaten. Laut Gesetz dürfen die Krankenkassen diese nur in „begründeten Einzelfällen“ verweigern. Sie legen die Vorschriften jedoch so aus, dass sie für jede Anfrage eine gutachterliche Stellungnahme des medizinischen Dienstes (MDK) anfordern. Die gesetzliche Kasse lehnte in meinem Fall aufgrund dieser Stellungnahme die Kostenübernahme zunächst ebenfalls ab. Die rechtlichen Rahmenbedingungen seien in meinem Fall laut MDK nicht erfüllt.

Auszug aus meiner Korrespondenz mit der Krankenkasse: 

Ich legte Widerspruch gegen die Entscheidung ein und fügte eine erneute Stellungnahme des Schmerzentrums bei. Wieder ohne Erfolg! Aus diesem Grund begann ich mich mit dem Genehmigungsprozess der Krankenkassen und den rechtlichen Rahmenbedingungen intensiv auseinanderzusetzen. 

Gesetzestext § 31 Abs. 6 SGB V: 

Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn

  1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung

a) nicht zur Verfügung steht oder

b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann,

2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.

Konkrete Indikationen, die als „schwerwiegend“ gelten, benennt der Gesetzgeber nicht. Daraus ergibt sich ein Fragenkatalog, der an den MDK-Gutachter seitens der Krankenkasse übermittelt wird. In meinem Fall sah das so aus: 

  1. Wird das Cannabisarzneimittel zum ersten Mal verordnet? 
  2. In welchem Umfang für welchen Zeitraum wird die Kostenübernahme beantragt? 
  3. Leidet Herr X unter einer schwerwiegenden Erkrankung? 
  4. Gibt es in diesem Einzelfall keine Alternative zur Behandlung des Cannabisarzneimitteln oder können nach der begründeten Einschätzung der behandelten Vertragsärztin bzw. des behandelnden Vertragsarztes keine Alternativen angewendet werden? 
  5. Besteht eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung durch die Behandlung mit Cannabis Arzneimitteln auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome? 

Es gibt grundsätzlich verschiedene Stufen bei einer gutachterlichen Tätigkeit des MDK. Bei Gutachten wird man eingeladen, sozialmedizinische Stellungnahmen erfolgen durch Sichtung der Akten. 

Die Gutachter des MDK sind allesamt Ärzte – allerdings aus unterschiedlichsten Fachgebieten. Nach einer hausinternen Weiterbildung durch den MDK führen diese den Zusatztitel „Sozialmediziner“. Ein Sozialmediziner gleicht bei einer gutachterlichen Stellungnahme den Soll-Zustand mit dem Ist-Zustand ab. So überprüft der Gutachter beispielsweise, ob überhaupt eine Indikation für eine Cannabismedikation vorliegt und ob alle anderen Therapiemaßnahmen bereits ausgeschöpft worden sind. Dazu bedient er sich der Leitlinien zur Behandlung des entsprechenden Krankheitsbildes, die frei im Internet verfügbar sind. Ferner muss laut Gesetz sichergestellt sein, dass eine Besserung der Symptome mit großer Wahrscheinlichkeit durch die Cannabismedikation erfolgt. Obwohl mir meine Ärzte eben all diese Voraussetzungen bescheinigten, kam der MDK-Gutachter zu einem anderen Ergebnis. So seien eben nicht alle Therapiemaßnahmen ausgeschöpft und es gebe auch noch andere Medikamente. Welche das konkret hätten sein sollen, beantwortete der MDK auch auf Anfrage meiner Ärzte und mir bis heute nicht. 

Beurteilender Arzt kein Spezialist für meine Erkrankung

Nach dem zweiten Widerspruch und der zweiten Ablehnung bekommt man im Normalfall von seiner Krankenkasse einen Bescheid zugestellt – also ein offizielles rechtsverbindliches Dokument, mit dem man dann vor das Sozialgericht ziehen kann. Das eigentlich Paradoxe ist jedoch, dass der beurteilende Arzt in meinem Fall gar kein Facharzt für die doch sehr spezielle Erkrankung Fibromyalgie ist. Er führt die Titel Allgemeinmediziner, Sozialmediziner und Apotheker. Dem gegenüber steht die fachliche Meinung von Anästhesisten, Ärzten für spezielle Schmerztherapie und Neurologen. Dies bemängelte ich und verlangte ein Gutachten von einen kompetenteren Gutachter, was mir jedoch verweigert wurde. 

Also wartete ich auf den Bescheid, kündigte an die Krankenkasse auf Schadenersatz / Schmerzensgeld zu verklagen und belegte dies mit Gerichtsurteilen zur Gutachterkompetenz. Anscheinend hatte kurze Zeit später der Sachbearbeiter einen hellen Moment, denn er folgte plötzlich meiner Argumentation bezüglich der Fachkompetenz des Gutachters und wollte ein neues Gutachten beim MDK erwirken, was dieser wiederum verneinte.

Endlich die Genehmigung

Eigentlich sind die Krankenkassen gar nicht an das Votum des MDK gebunden (auch wenn sie das gerne so darstellen) sondern entscheiden eigenständig, ob sie eine Leistung bewilligen oder nicht. In meinem Fall sah sich die Krankenkasse zum Schluss wohl unterlegen und bewilligte schließlich doch meinen Antrag.

Vielen Dank lieber Dirk für deinen Erfahrungsbericht. An dieser Stelle wünschen wir dir für deinen weiteren Lebensweg alles Gute! Wir hoffen, dass sich durch Beiträge wie deinen die aktuelle Lage bezüglich der Kostenübernahme der Krankenkassen für Cannabis-Patienten verbessert.

Titelbild © vk446 – stock.adobe.com

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