Die Hoffnung im Nebel: Neue Studien zu Cannabis bei Autismus
Der Autor dieses Artikels lebt mit dem Asperger-Syndrom, einer hochfunktionalen Form von Autismus. Seine persönlichen Erfahrungen mit verschiedenen Formen von Cannabis, die er bezüglich seiner Symptome als lindernd empfand, werden von den hier angeführten Studien scheinbar statistisch untermauert. Wir empfehlen dennoch, vor der Aufnahme einer Behandlung einen Arzt aufzusuchen, um sich bezüglich der medizinischen Folgen, sowie möglichen Nebenwirkungen beraten zu lassen.
Was ist Autismus?
Wir alle kennen die Klischees, vom meist schweigsamen, manchmal schreiend zappelnden kleinen Jungen, der am liebsten Zahlenrätsel löst und Gegenstände sortiert. Die Realität ist davon oft nicht weit entfernt, doch auch nicht immer gleich, selten filmreif und allgemein sehr komplex. Vieles bleibt bislang unerforscht, auch weil sich Ursachen und Ausprägungen von Mensch zu Mensch so stark unterscheiden. Nicht zuletzt deshalb gelten anerkannte Kriterien und Diagnosen heute als veraltet und rückständig; statt in Schubladen zu denken, spricht man vom Autismus-Spektrum. Dennoch gibt es selbstverständlich gewisse Muster und Merkmale, die Autisten als solche erkennbar machen und auf dem Spektrum verorten: So lässt sich recht allgemein sagen, dass Menschen auf dem Autismus-Spektrum, ob hochfunktional oder nicht, in der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen von der Norm abweichen. Eindrücke lassen sich dabei oft nur schwer ausblenden, Gedanken sich schwer beiseite schieben und unrhythmische, laute Geräuschkulissen, im falschen Augenblick wahrgenommen, können bildlich gesprochen die Wirkung eines Hagelsturms entfalten. Auch im sozialen Umfeld, und bei der Bewältigung gewisser Aufgaben, kann sich Autismus bemerkbar machen. Eine gewisse Unbeholfenheit, gelegentlich bis hin zur Unfähigkeit, bei nonverbaler Kommunikation und der Deutung des Verhaltens von Mitmenschen, gehört zu den charakteristischen Eigenschaften von Autisten, geht jedoch oft mit hoher Intelligenz, guter Merkfähigkeit und einem ausgeprägten räumlichen Vorstellungsvermögen einher. Während sich kognitive Fähigkeiten allerdings nutzen und soziale Stolpersteine nach und nach aus dem Weg räumen lassen, können Wahrnehmungsstörungen, Reizüberflutung und der sogenannte Hyperfokus, je nach Schweregrad, nachhaltig die Lebensqualität von Autisten beeinflussen. Was bringt es, kreativ zu sein und Codes knacken zu können, wenn bereits U-Bahn fahren regelmäßig zur Qual wird?
Cannabinoide könnten der Schlüssel sein
Während die Sinnes- und Reizwahrnehmung bei Autismus verstärkt ist, oft gepaart mit übersteigerter Konzentration und sich förmlich überschlagenden Gedanken, erzielt der Konsum von Cannabis meist genau die gegenteilige Wirkung, wirkt entspannend, erleichtert das Loslassen und das Ausblenden. Die Vermutung eines Zusammenhangs zwischen Autismus und Cannabinoiden liegt somit nicht allzu fern: Genau jene Funktionen des Gehirns und des Nervensystems, die bei Autisten besonders stark ausgeprägt sind, scheinen durch Cannabis vorübergehend gedämpft, geschwächt, quasi gelindert zu werden. Wenig überraschend also, dass in dieser Richtung in jüngerer Zeit intensive Forschung betrieben wird.
Besonders zwei Studien, die von israelischen Wissenschaftlern unabhängig voneinander durchgeführt und beide im Januar 2019 veröffentlicht wurden, könnten helfen, bald Licht ins Dunkel zu bringen.
Eine gemeinsame Untersuchung durch mehrere Universitäten und Krankenhäuser hat etwa ergeben, dass bei Kindern mit Autismus, unabhängig von Alter, Geschlecht und Körperbau, Abweichungen im Endocannabinoidsystem vorliegen. Endocannabinoide sind körpereigene Wirk- und Botenstoffe des Menschen, die in ihrer Wirkweise und Zusammensetzung den Wirkstoffen der Cannabispflanze ähneln, und nach diesen benannt sind. Insbesondere die Endocannabinoide AEA und PEA werden in der Neurologie mit der Verarbeitung von Eindrücken und Informationen in Verbindung gebracht, etwa bei Angst, Schmerz und Lernprozessen, sowie mit der Regulierung der Bewegung, des Appetits und des Schlafrhythmus. Wie im Rahmen der Studie festgestellt werden konnte, ist die Konzentration ebenjener Wirkstoffe bei Kindern mit Autismus etwa 30-40% niedriger, als bei Kindern ohne neurologische Auffälligkeiten.
CBD kann die Lebensqualität von Autisten verbessern
Eine weitere Studie, die überwiegend durch die Universität Negev durchgeführt wurde, beschäftigte sich mit den Auswirkungen von CBD auf Kinder mit Autismus. CBD steht für Cannabidiol und ist einer von über hundert in der Cannabis-Pflanze natürlich vorkommenden Stoffen. In der Anwendung beim Menschen gilt Cannabidiol unter anderem als angstlösend, schmerzlindernd und entzündungshemmend.
Zu den von den Eltern der teilnehmenden Kinder angegebenen Symptomen, gehörten die üblichen Autismus-Symptome, wie häufige Reizüberflutung, Probleme mit der Konzentration und Schwierigkeiten bei der Stressbewältigung, aber auch Nebenerscheinungen, wie etwa Schlafstörungen und gelegentlich auftretende Appetitlosigkeit.
Die tägliche Anwendung von CBD-Öl bei den Versuchspersonen erzielte weitgehend den erwünschten Effekt: In regelmäßigen Befragungen gaben je über 80% der Teilnehmer eine Verbesserung, bzw. Linderung der Symptome an und damit einhergehend, sowohl kurz- als auch langfristig, eine Verbesserung der Lebensqualität, bei den Testpersonen. Unerwünschte Nebenwirkungen, wie Mundtrockenheit, Schläfrigkeit und Verdauungsprobleme, waren zudem selten und ausnahmslos ungefährlich. Auffallend ist zudem, dass lediglich 11% der Studienteilnehmer die Behandlung mit CBD abbrachen, und über 40% der Abbrecher angaben, die Behandlung bald fortzusetzen. Zwar steckt die Forschung, sowohl an Cannabis als auch an Autismus, noch in den Kinderschuhen, weitere Studien und Ergebnisse sollten jedoch nicht lange auf sich warten lassen, und für Menschen auf dem Autismus-Spektrum ist der Horizont bereits jetzt voller Silberstreifen: Die Anwendungsmöglichkeiten von Cannabisprodukten sind vielfältig, und könnten für viele Autisten schon bald ein erleichtertes und angenehmeres Leben bedeuten, frei von schlaflosen Nächten und Nervenzusammenbrüchen.